Im Rahmen der ditact_women’s IT summerstudies 2014 trafen sich VertreterInnen verschiedener IT-Fachbereiche von Universitäten und Fachhochschulen aus ganz Österreich zur Reflexion und der Erarbeitung eines neuen Curriculums für Informatik/IT Studiengänge. Dabei stand eine Frage im Vordergrund: Wie können wir das Informatik/IT Studium für Frauen und Männer attraktiver gestalten?

Paradoxerweise verzeichnen die Studiengänge der Informatik/Computerwissenschaften/IT trotz boomender IT-Branche rückläufige Inskriptionszahlen, und zwar besonders der weiblichen, aber auch männlichen Bewerber. Sind also informatisch-technische Studien bei der MaturantInnen-Generation nicht mehr attraktiv genug? Seit vielen Jahren versuchen unterschiedliche Projekte vor allem Mädchen und junge Frauen für technisch-naturwissenschaftliche Fächer (MINT) zu begeistern und fit zu machen – mit mäßigem Erfolg.

Das ditact_symposium gliederte sich in zwei Teile, die konzeptionell unterschiedlich gestaltet wurden. Der Vormittag stand im Zeichen der Problemidentifikation, mit Inputvorträgen von Ursula Maier-Rabler (ditact_Projektverantwortliche, Universität Salzburg), Jana Diesner (iSchool, University of Illinois, Urbana-Champaign) und Siegfried Kaltenecker (systemischer Organisationscoach und geschäftsführender Gesellschafter der Loop GmbH.)

Ursula Maier-Rabler sprach von einem Paradigmenwechsel, der in der IT stattfinden müsse. Weg von dem Defizitansatz „die Frauen müssen für die IT fit gemacht werden“ hin zu „wie kann die IT fit für Frauen gemacht werden?“. Sie stellte die Notwendigkeit von strukturellen Veränderungen in den Mittelpunkt. Universitäten und Fachhochschulen sind wesentliche Strukturen dabei. Inwieweit können agile Methoden der Softwareentwicklung als generalisierende Leitprinzipien für problem- und gesellschaftsorientierte sowie Sinn stiftende Studienpläne hilfreich sein, insbesondre Frauen, aber auch junge Männer für ein IT/Informatikstudium zu motivieren? So sind es vor allem Aspekte wie „Collective Ownership“ (jedes Team-Mitglied hat die gleichen Rechte am Endprodukt), „Sustainable Pace“ (Vermeidung extremer Arbeitsbelastung) und „Craftmanship“ (die Erarbeitung eines qualitativ hochwertigen Produkts anstatt möglichst großen Output in kürzester Zeit), welche für die junge Generation von Frauen und Männer attraktiv erscheinen. Die ditact wird weiterhin eine Sommeruniversität für Frauen sein, um diese für Informatik-/IT-Studien zu begeistern und zu fördern, gleichzeitig möchte die ditact in Zukunft IT-Unternehmen und IT-Studiengänge auffordern, sich fit für Frauen zu machen.

Der Vortrag von Jana Diesner erfolgte per Live-Schaltung aus den USA. Die Keynote Speakerin des ditact_opening promovierte an der Carnegie Mellon Universität. Diese Universität schaffte es im Studiengang Computerwissenschaften innerhalb von 4 Jahren den Frauenanteil von 7% auf 40% zu steigern. Zentral war dabei die Rolle der eigenen Studierenden, die als positive role-models an amerikanischen Highschools mit interessierten SchülerInnen sprachen und ihnen die Möglichkeiten der Informatik näher brachten. Bei der Auswahl der Studierenden setzt die Universität gleichzeitig stark auf Diversität (Durchmischung hinsichtlich Geschlecht, Ethnien, Minderheiten). Jana Diesner präsentierte auch Projekte, die versuchen „computational thinking“ bereits in Kindergärten und Vorschulen zu integrieren. Das Ziel ist der frühestmögliche Kontakt von Kindern mit Informatik. Der Abbau von Hemmungen und Vorurteilen soll erreicht werden. Aus ihrem Beitrag wurde das Engagement US-amerikanischer Universitäten deutlich, sich ihre Studierenden nach durchdachten Prinzipien auszuwählen (eine Möglichkeit, die österreichische Universitäten nicht in dem Ausmaß haben). Als besonders förderlich für mehr Frauen in Informatik/IT-Studiengängen hat sich erwiesen, z.B. Programmierkenntnisse nicht mehr als besondere Voraussetzungen zu werten. Ihre akademische Sichtweise wurde dann ergänzt durch Siegfried Kaltenecker, systemischer Organisationsberater mit Schwerpunkt Agile und Lean Change Management.

Siegfried Kaltenecker zeigte die veränderte Realität in IT-Unternehmen auf, die zunehmend weg von linearen Entwicklungsprozessen hin zu teamorientierten, interaktiven Prozessen gehen. Agile Methoden im IT-Projektmanagement gewinnen immer mehr an Bedeutung, und bieten viele Möglichkeiten – insbesondere auch für Frauen – und sollten auch in das Informatikstudium der Zukunft Eingang finden. Es geht vor allem um eine sinnvolle und sinnstiftende Verbindung von Technik, die im Zentrum steht, und agile Methoden und Werte, die Rahmenbedingungen schaffen. In einer komplexen Realität müssen Unternehmen mit komplexen Teams darauf reagieren. Dies bedeutet primär gemischte Teams in Bezug auf Alter, Geschlecht, Erfahrung und Background.

Am Nachmittag wurde unter Leitung von Isabella Klien, Moderatorin und holistische Organisationsberaterin, ein World-Café mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Symposiums veranstaltet. Dabei sollten konkrete Ideen und auch Umsetzungsstrategien zur Ausgestaltung eines modellhaften Grundstudiums („Informatik-/IT-Studium der Zukunft“) unter Berücksichtigung der Vormittagsinputs erarbeitet werden.

In drei aufeinander aufbauenden Runden wurden konkrete Antworten zu folgenden Fragestellungen erarbeitet: Runde 1: Welche Werte und Konzepte (agile Prinzipien) finden wir für das IT-/Informatikstudium der Zukunft wichtig? Runde 2: Wie können wir diese Werte und Konzepte ganz konkret umsetzen? Runde 3: Welche ersten Studienplan-Ideen ergeben sich daraus?

Ergebnisse: In der ersten Runde wurden folgende Werte als besonders wichtig erachtet: – Diversity (maximal gemischte Team/Studierende Zusammensetzung) – Sustainable Pace (Learn-Life-Balance) – Kollaboration statt Isolation – Empowerment und Partizipation der Studierenden – Weg von isolierter Einzelbewertung hin zu Teamarbeit – Kultur des Scheiterns entwickeln (try and error als Element des Studienplans)

In der zweiten Runde erarbeiten die Teams konkrete Umsetzungsstrategien/Maßnahmen für obige Wertedimensionen, darunter kreative Ideen wie:

  • Scheitern lernen: make and break (kaputt machen erlaubt, um aus Fehlern zu lernen)
  • Lehrende als role models für gelebte diversity
  • Peer/Pair Programming (Stärkere helfen Schwächeren; Beurteilung orientiert sich an den Schwächeren)

In der abschließenden dritten Runde wurden konkrete Bausteine zu einem modellhaften Grundstudium Informatik/IT erarbeitet.

Neben klassischen IT-Inhalten wurden u.a. folgende Ideen formuliert:

  • klausurfreies erstes Semester: Erarbeitung gesellschaftlicher Grundlagen und soft-skills für Informatik/IT-Studierende (Harmonisierungssemester für unterschiedliche Herkunft, Teambuilding)
  • (agile) Semesterprojekte (interdisziplinär, divers, sustainable pace)
  • Auslandssemester und Industriesemester
  • neue Feedback-Kultur (neue Evaluierung durch persönliche Feedbacks)
  • unterschiedliche Einstiegstracks (z.B. in die Programmierung) für unterschiedliche Vorkenntnisse
  • neue Lehr- und Lernformen (bootcamps, barcamps, agile teams, selbstorganisiert)
  • Verschränkung gesellschaftlicher Themen und Problemlagen mit Informationstechnologie

Die nächsten Schritte müssen sein, die bisherigen Ergebnisse im Bewusstsein zu halten und weitere Professoren und Professorinnen sowie Mitglieder der Informatik/IT-Curricularkommissionen anzusprechen.

Die Potenziale des Standortes Österreich sollen genutzt werden, daher ist für Mai 2015 eine ditact_shortcuts Veranstaltung geplant, um die Ergebnisse des Symposiums weiter zu denken und konkreter zu gestalten. Dabei wirken vor allem die Anwesenden als Multiplikatoren in ihren Fachbereichen, unter anderen Studierenden und Freunden. Die TeilnehmerInnen kamen überein, dass dieses erste ditact_symposium ein gelungener Auftakt für weitere Initiativen in diese Richtung darstellt.